Das Co-Präsidium des Vereins Klimaschutz Schweiz, Myriam Roth und Dominik Siegrist, vertritt den Verein im Initiativkomitee der Gletscher-Initiative. Für die Rückzugsfrage konsultieren die beiden nun die Mitglieder. Die Mitglieder-Umfrage läuft bis am Dienstag, 6. September, um 12 Uhr.
Die Frage, die für einen Rückzugsangebot entscheidend ist, lautet: Was bringt die Klimapolitik der Schweiz besser voran: die Gletscher-Initiative oder der indirekte Gegenvorschlag? Es geht nicht darum, dass eine der beiden Vorlagen ideal wäre und das Klimaproblem ein für alle mal lösen würde. Die Politik wird sich so oder so weiter mit der Bewältigung der Klimakrise befassen müssen.
Ausgangslage
Der Nationalrat hat im Juni einen indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative verabschiedet. Nach der Debatte im Nationalrat habe ich in der Diskussionssendung «Arena» von Fernsehen SRF am 17. Juni erklärt, dass ich dem Initiativkomitee empfehlen wolle, die Gletscher-Initiative zurückzuziehen, falls der Gegenvorschlag so, wie ihn der Nationalrat beschlossen hat, auch vom Ständerat gutgeheissen werde.
Ab dem 15. September berät der Ständerat darüber. Die vorberatende Kommission empfiehlt dem Ständerat mit klarer Mehrheit, den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative anzunehmen; sie möchte ihn aber in ein paar Punkten ändern und die Gelder für Klimaschutzmassnahmen reduzieren.
Was will die Gletscher-Initiative, was der Gegenvorschlag?
Die Kernidee der Gletscher-Initiative besteht aus zwei Teilen:
- Die Treibhausgas-Emissionen müssen spätestens 2050 auf netto null fallen – das ist heute praktisch politischer Konsens.
- Für netto Null Treibhausgas-Emissionen braucht es auch den Ausstieg aus den fossilen Energien.
In der gegenwärtigen Energiedebatte ist viel vom Ausbau der erneuerbaren Energien die Rede. Wir brauchen diesen Ausbau, gewiss. Aber entscheidend ist nicht, wie schnell wir die Erneuerbaren ausbauen, sondern wie schnell wir die Fossilen loswerden. Darum fordert die Gletscher-Initiative ein Verbot dieser schädlichen Energien.
Der indirekte Gegenvorschlag des Nationalrats übernimmt das Ziel der Gletscher-Initiative: netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 (für Bund und Kantone bereits 2040). Er sieht auch Zwischenziele vor, die ungefähr der Forderung nach einem mindestens linearen Absenkpfad der Treibhausgas-Emissionen entsprechen, wie sie die Gletscher-Initiative als Minimum vorsieht. Angesichts der Dringlichkeit der Krise wäre zwar eine schnellere Absenkung der Emissionen nötig. Aber auch wenn die Gletscher-Initiative angenommen würde, könnten wir nicht damit rechnen, dass die Forderung nach der mindestens linearen Absenkpfad ambitionierter als minimalistisch ausgelegt würde.
Bekenntnis zum Ausstieg aus den Fossilen und zwei Massnahmenbereiche
Der indirekte Gegenvorschlag verbietet die fossilen Energien nicht. Aber er enthält ein klares Bekenntnis zum Ausstieg: Soweit es technisch möglich ist, müssen die Emissionsziele nämlich «durch Emissionsminderungen im Inland» erreicht werden. So genannte Kompensationen im Ausland oder auch Negativemissionstechniken wären nur zugelassen, wenn es anders nicht ginge. Gerade im Energiebereich wissen wir aber, dass es geht.
Mit welchen Massnahmen die Ziele erreicht werden, müsste in weiteren CO2-Gesetzen festgelegt werden. Zwei Massnahmenbereiche enthält der Gegenvorschlag aber schon selber:
- Erstens können Unternehmen Fahrpläne erarbeiten, wie sie ihre Emissionen auf netto null senken wollen. Das ist zwar freiwillig, aber Unternehmen, die mitmachen, können von Unterstützung durch den Bund profitieren. Ausserdem können sie in Genuss von Fördergeldern für «neuartige Technologien und Prozesse» kommen. Diese Fördergelder betragen sechs Jahre lang 200 Millionen Franken pro Jahr.
- Zweitens sieht der Gegenvorschlag ein Sonderprogramm zur Unterstützung des Heizungsersatzes vor. Das ist dringlich, denn Heizungen haben eine lange Lebensdauer und heute wird noch immer fast jede zweite Öl- oder Gasheizung durch eine solche ersetzt. Für dieses Programm sieht der Nationalrat zehn Jahre lang ebenfalls 200 Millionen Franken pro Jahr vor. Die Umweltkommission des Ständerats will diesen Betrag halbieren.
Vor- und Nachteile
Folgendes spricht für den indirekten Gegenvorschlag, welcher vom Nationalrat vorgelegt wurde:
- Ein indirekter Gegenvorschlag wirkt schneller, weil er ein Gesetz ist und nach Verabschiedung in Kraft treten kann, und falls niemand das Referendum dagegen ergreift, braucht es keine Volksabstimmung. Die Gletscher-Initiative dagegen wäre eine Verfassunsänderung. Ein ausführendes Gesetz müsste, wenn die Initiative angenommen würde, erst noch erarbeitet werden.
- Die Netto-Null-Fahrpläne der Unternehmen haben das Potenzial, strukturelle Veränderungen auszulösen, wie sie laut dem jüngsten IPCC-Bericht nötig sind. Solche Veränderungen können eine Eigendynamik entwickeln, so dass die an sich ungenügenden Emissionsziele übererfüllt werden könnten. Diese Einschätzung wird von unseren wissenschaftlichen Beratern gestützt.
Auf der anderen Seite verzichten wir mit dem Gegenvorschlag auf einen Verfassungsartikel für den Klimaschutz und auf das explizite Verbot fossiler Energien ab 2050.
Mitglieder-Umfrage
Ich bin gespannt, wie die Mitglieder des Vereins Klimaschutz Schweiz den indirekten Gegenvorschlag beurteilen. Sind sie damit einverstanden, dass wir dem Parlament anbieten, die Gletscher-initiative zurückzuziehen, wenn der indirekte Gegenvorschlag vom Ständerat ohne Abschwächung übernommen wird?
Das Resultat der Umfrage dient als Empfehlung für das weitere Vorgehen des Initiativkomitees, das über den Rückzug entscheiden muss. Sollte das Parlament den indirekten Gegenvorschlag annehmen, aber abschwächen, wird das Vereinspräsidium die Vereinsmitglieder erneut befragen.
Ob wir zurückziehen oder nicht und ob wir an der Urne gewinnen oder nicht: Die Klimakrise ist kein «Problem», das man «lösen» kann. Der Kampf gegen die Klimakrise muss sowieso weitergehen.