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Mike Schäfer: «Zentral ist, wer den Rahmen einer Debatte setzt.»

Mike Schäfer, Jahrgang 1976, ist Ordentlicher Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Gletscher-Initiative. Er ist ausserdem Sprecher der Expert:innengruppe «Communicating Sciences and Arts in Times of Digital Media» der Akademien der Wissenschaften Schweiz, der mit Reto Knutti ein weiteres Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Gletscher-Initiative angehört.

Am 13. Juni ist das CO2-Gesetz an der Urne durchgefallen. In einer Nachbefragung sagte eine Mehrheit der Neinstimmenden, sie würden Wissenschaft und den Medien misstrauen. Sind das einfach Unbelehrbare – oder machen Wissenschaft und Medien etwas falsch?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Nebst ungünstigen Faktoren wie der Kombination mit den Agrarinitiativen, die die Gegenseite stärker mobilisierte, muss man sehen, dass die Gegner:innen des Gesetzes auf eine Weise argumentierten, die sehr wirkungsvoll ist: mit dem Geldbeutel. Natürlich kostet es langfristig viel mehr, wenn wir nichts tun – aber es ist schwierig, mit langfristigen Folgen argumentativ gegen kurzfristige Folgen anzukommen. Es ist der Pro-Seite nicht gut gelungen, da zu kontern.

Was die Rolle der Medien und der Wissenschaft angeht: Es ist ja nicht Aufgabe der Medien, für eine Seite Stellung zu beziehen. Aber was man schon kritisieren kann: Die Klimaberichterstattung ist im Zuge der Corona-Pandemie total an den Rand gedrängt worden. Zahlen des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (FÖG) zeigen, dass zeitweise 60 bis 70 Prozent aller Medienbeiträge in der Schweiz einen Bezug zur Pandemie hatten, zur Klimaerwärmung hingegen nur ein tiefer einstelliger Prozentsatz. Die Wissenschaft – das heisst einzelne Wissenschafterinnen und Wissenschafter oder Organisationen wie die Scientists for Future – haben sich klar positioniert, da sehe ich kein Versagen.

Was Du über die mediale Berichterstattung gesagt hast, konnte man ja Anfang August schön beobachten, als der Klimarat IPCC den ersten Teil seines neuen Berichts vorstellte. Dessen Aussagen sind äusserst gravierend. Die Medien berichteten durchaus darüber – einen, zwei Tage lang. Aber danach waren andere Themen wieder viel mehr im Fokus: der Vormarsch der Taliban gegen Kabul – und immer wieder Corona.

Die Aufmerksamkeitsökonomie ist unerbittlich in Zeiten, in denen 80 Prozent der Werbeeinnahmen zu den grossen Tech-Plattformen abwandern, in denen das journalistische Personal knapp ist und in denen zu vieles von den Klickzahlen abhängt. Der neue IPCC-Bericht weckte bei vielen den Eindruck: Jetzt wissen wir es zwar wieder ein bisschen genauer, aber es ist im Grunde nichts Neues … Das hat keinen hohen Nachrichtenwert. Dazu kommt, dass es nicht sehr viele Journalist:innen gibt, die viel vom Klima verstehen. Es gibt Medien wie den britischen «Guardian», die versuchen, das Klima als ein Querschnittsthema ernst zu nehmen, das alle Bereiche betrifft, für das also nicht etwa nur das Wissenschaftsressort zuständig ist. Dieser Ansatz löst die Situation nicht, kann sie aber verbessern.

Du sagst, es gebe zu wenig Klimaspezialist:innen bei den Medien. Es gab aber bis vor anderthalb Jahren auch kaum Pandemiespezialist:innen …

Beim Klima ist die wahrgenommene Dringlichkeit geringer. Natürlich ist die Klimaerwärmung extrem dringlich und man erkennt heute auch viel mehr als vor wenigen Jahren, wie die Erwärmung die eigene Lebenswelt betrifft. Aber trotzdem betrifft uns die Pandemie unmittelbarer, die Dringlichkeit scheint grösser, und das hat auch einen selbstverstärkenden Effekt: Weil die Dringlichkeit als so hoch wahrgenommen wird, berichten die Medien extrem viel, was wiederum die Dringlichkeit noch höher erscheinen lässt.

Immerhin: Im Zuge von Extremwetterereignissen, etwa im Juli, als Überschwemmungen in Deutschland über 200 Todesopfer forderten, schafft es die Klimaerwärmung schon wieder auf die Titelseiten.

Nochmals zum CO2-Gesetz: Laut dem Abstimmungsmonitor des FÖG bezogen deutlich mehr Medienberichte für das Gesetz Stellung als dagegen. Sie widerlegten zum Beispiel Zahlen, mit welchen die Gegner:innen argumentierten. Das ergab dann Titel wie «Das Gesetz bestraft vor allem reiche Umweltsünder». Damit widersprach die «Sonntagszeitung» einem Argument der Gegner:innen – und sagte doch auch: Das CO2-Gesetz ist etwas Unerfreuliches, eine Strafe …

Schon früh in Abstimmungskämpfen lautet jeweils die zentrale Herausforderung: Wer setzt den Rahmen, innerhalb dessen eine Vorlage diskutiert wird? Das ist das so genannte Framing. Diskutiert man über Generationengerechtigkeit wie zu Beginn der Corona-Pandemie? Diskutiert man über globale Gerechtigkeit? Oder diskutiert man über Kosten? Die Gegner:innen des Gesetzes haben den Kosten-Frame schon früh gesetzt und die Medien sind ihnen dabei häufig gefolgt – nicht zuletzt, weil es den Befürworter:innen nicht gelungen war, einen starken eigenen Frame dagegenzusetzen. Das Ja-Lager war sich sogar teils uneinig; so lässt sich eine Debatte schlecht prägen.

Kurz nach der Abstimmung wurde die Hochwasserlage in der Schweiz kritisch; die Unwetter in Deutschland haben Sie erwähnt. Es brannten die Wälder im Mittelmeerraum, der europäische Hitzerekord wurde gebrochen … Wie viel braucht es denn noch, bis allen klar wird, dass es das Nichtstun ist, was teuer ist?

Für diese Frage bin ich vielleicht nicht der richtige Fachmann. Aber ich meine, es hat schon auch eine Entwicklung zum Guten gegeben: Das Bewusstsein für den Klimawandel hat sich bei vielen Menschen entwickelt, Hardcore-Klimaleugner:innen findet man nicht mehr so oft. Den meisten ist heute auch grundsätzlich klar, was zu tun wäre und dass beispielsweise Fliegen oder ein hoher Fleischkonsum das Klima schädigen. So gesehen, kann man sagen, das Glas sei halbvoll. Aber es ist eben auch halbleer: Denn das alles genügt noch nicht, um auf einen 1,5-Grad-Kurs zu kommen – oder um eine Abstimmung, wie die über das CO2-Gesetz zu gewinnen. Und dieses Abstimmungsresultat ist auch in seiner internationalen Ausstrahlung fatal: Jetzt können Populist:innen wie die Partei AfD in Deutschland sagen: «Schaut, in der Schweiz, wo man die Leute fragt, wollen sie nicht …».

Mir scheint, die Klimakommunikation habe gegen zwei mächtige, entgegengesetzte Mechanismen zu kämpfen: Einerseits die Angst, andererseits die Gewöhnung. Angst macht ohnmächtig, Gewöhnung gleichgültig.

Man kann und muss Appelle an die Angst nicht ganz vermeiden; die Nachrichten machen ja tatsächlich Angst. Aber man sollte Angst-Appelle koppeln mit Informationen darüber, was es für Auswege aus der Krise gibt. Wenn man nur an die Angst appelliert, erreicht man zwar die Aufmerksamkeit, aber man lähmt die Leute auch. Darum ist eine Medienberichterstattung wichtig, die zeigt, was man tun kann oder was schon geschieht. Leider erreichen solche Geschichten weit weniger Aufmerksamkeit als die Sensationen. Eines meiner Mantras lautet: Es gibt nicht den einen Königsweg in der Klimakommunikation. Man muss Botschaften dem Publikum anpassen. Es gibt Gruppen, die wissen, was Sache ist, denen aber die Lösung als zu gross erscheint. Denen muss man nicht in erster Linie das Problem erklären, sondern Lösungen aufzeigen – oder wie die Psychologie sagt: das Gefühl ihrer Selbstwirksamkeit stärken. Andere Gruppen wie die Leugner:innen wiederum wird man damit nicht erreichen.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass ganz vieles möglich ist, was kurz zuvor unmöglich schien. Lässt sich das positiv auf die Klimakrise übertragen – oder ist es eher so, dass viele nun genug Krise haben und die Augen erst recht vor der Realität verschliessen?

Man kann aus der Pandemie auf jeden Fall viel lernen. Einzelne Bürgerinnen und Bürger, Organisationen oder «die Wissenschaft» haben Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht. Menschen haben reihenweise neue Verhaltensweise gelernt und weit überwiegend eingehalten.

Meine Institution beispielsweise, die Universität, konnte ganz schnell ganz vieles neu organisieren. Akademische Wissenschaft und Pharma-Unternehmen haben sehr schnell Impfstoffe entwickelt. Das war alles beeindruckend. Daraus versuchen wir zu lernen und haben deshalb bei den Akademien der Wissenschaften einen Bericht über Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliches Engagement herausgegeben. Die Botschaft, wie wichtig die Kommunikation ist, ist nämlich bei vielen angekommen. Jetzt sollte man das Eisen schmieden, solange es heiss ist.

Aber es gibt definitiv auch die andere Seite: die Ermüdung. Die Forschungsstelle Sotomo hat gezeigt, dass das Vertrauen in die mediale Berichterstattung sinkt. Und das sehen wir auch beim Vertrauen in andere Institutionen wie die Politik. Viele haben die Nase voll, das macht es nicht einfacher. Man wird mit Krisenkommunikation vorsichtig sein müssen, so wichtig diese auch ist.